Über 111 Jahre KVfL

Liebe Freunde des Luftsports,

111 Jahre – eine stattliche Zahl. Blicken wir zurück in das vergangene Jahrhundert: Am 11.10.1909 wurde in Marburg der "Kurhessische Verein für Luftschiffahrt" gegründet. Unter den Gründungsmitgliedern waren klangvolle Namen wie Privatdozent Dr. Alfred Wegener, Buchdruckereibesitzer Dr. Hitzeroth und Prof. Dr. Sauerbruch. Das Interesse galt damals vor allem der Ballonfahrt und war vorwiegend wissenschaftlicher Natur: als wichtiges Hilfsmittel in der Meteorologie und in der Medizin als Möglichkeit, physiologische Vorgänge im menschlichen Organismus in großen Höhen zu untersuchen. Wetterballons steigen auch heute noch rund um den Globus jeden Tag auf und übermitteln Daten über die Beschaffenheit der Atmosphäre zu den Wetterdiensten auf der ganzen Welt.

Bereits im Jahr 1910 erwarb der Verein seinen ersten Ballon, einen Gasballon, der auf den Namen "Marburg" getauft wurde. Befüllt wurde er gleich neben dem Gaswerk im Afföller. Auf den benachbarten Afföllerwiesen, in unmittelbarer Nähe zur Stadt, konnte die Marburger Bevölkerung drei Jahre später anlässlich eines Schaufliegens zum ersten Mal auch Flugzeuge starten und landen sehen.

Dem aufmerksamen Leser mag nicht entgangen sein, dass unser Verein heute "Kurhessischer Verein für Luftfahrt Marburg" heißt. Diese Namensänderung erfolgte bereits 1912 und es ist bis heute - von dem Zusatz "Schönstadt" abgesehen - dabei geblieben.

In den ersten 46 Jahren seines Bestehens erlebte unser Verein zwei verheerende Weltkriege, mit jeweils erheblichen Folgen für die Luftfahrt in Deutschland. Nach dem ersten Weltkrieg konnte das Flugverbot durch das Fliegen mit Segelflugzeugen umgangen werden. Hier bestand eine sehr enge Zusammenarbeit unseres Vereins mit dem Institut für Leibesübungen der Universität Marburg. Nach dem zweiten Weltkrieg waren sechs Jahre lang sämtliche Flugaktivitäten verboten. Es ist Bertram Schäfer (Marburger Tapeten) und Dr. Johannes Müller zu verdanken, dass der Kurhessische Verein für Luftfahrt während der Zeit des Nationalsozialismus und nach dem Ende des zweiten Weltkriegs ununterbrochen im Vereinsregister der Stadt Marburg geführt wurde.

Siehe auch Geschichte des KVfL 1909 - 1945

Bereits ab 1949 trafen sich dann wieder flugbegeisterte Menschen zur Wiederbelebung des Vereins. Die Vereinsaktivitäten beschränkten sich wegen des Flugverbots zunächst auf den wöchentlichen Stammtisch und den Modellflugsport. Im Jahr 1952 wurde der Segelflug von den Alliierten wieder erlaubt. Das erste Segelflugzeug war ein "SG 38". Nach und nach wurden von Mäzenen des Marburger Luftsports und durch Spenden aus den Reihen der Vereinsmitglieder immer mehr Segelflugzeuge angeschafft. Segelflug bedeutete damals viel Eigenleistung und Handarbeit, bevor die Mühe durch einen Flug belohnt werden konnte. Dieses Prinzip ist bis heute erhalten. 1955 wurde das Flugverbot durch die Alliierten vollständig aufgehoben. Dies war der Startschuss für den Motorflug im KVfL. Außerdem erhielt der Verein die Berechtigung als nicht gewerblicher Ausbildungsbetrieb. Mit Hilfe persönlicher Spenden und unter großen Opfern der Mitglieder wurde die Flotte im Laufe der Zeit vergrößert und immer mehr "Fußgänger" wurden von den ehrenamtlichen Fluglehrern des Vereins zum Piloten ausgebildet.

Zu einer grundlegenden Veränderung kam es kurz nach dem 60. Vereinsjubiläum im Jahr 1969. Das Projekt Stadtautobahn und die Schaffung des Gewerbegebiets Wehrda führten dazu, dass die Marburger Flieger ihren Flugplatz im Afföller aufgeben mussten. Es hieß Abschied nehmen von einer lieb gewonnenen Einrichtung, gehörten doch die Segelflugzeuge bei schönem Wetter zum Erscheinungsbild der Stadt. Das Gelände zum Bau eines neuen Flugplatzes wurde auf der Anhöhe zwischen dem Maximilianhof bei Bernsdorf und Schönstadt gefunden. Pioniere der Bundeswehr halfen bei der Bewegung großer Erdmengen. Der Ausbau des Platzes und Bau der Flughallen war eine Mammutaufgabe und erfolgte mit dem in der Vereinsgeschichte beispiellosen Einsatz der Mitglieder unter der Leitung des Vorsitzenden Walter Feuerrohr. Halle 1 wurde vom Afföller umgesiedelt. Die Hallen 2 und 3 wurden neu gebaut, Halle 3 dabei komplett gespendet.

Siehe auch Geschichte des KVfL 1945 - 1970

1970 war es dann so weit: Das erste Flugzeug landete auf dem Flugplatz Marburg-Schönstadt. Der Flugplatz erhielt den Status eines Verkehrslandeplatzes. Das „ist eine der drei Kategorien von Flugplätzen in Deutschland und liegt luftrechtlich zwischen Flughafen und Segelfluggelände. Im Unterschied zu Segelfluggeländen besitzt der Verkehrslandeplatz einen ICAO-Code.“(1) (engl.: International Civil Aviation Organization, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Montreal.) Der Code für unseren Flugplatz lautet: Echo Delta Foxtrott November – kurz: EDFN.

Der Flugplatz liegt eingebettet in die wunderschöne hessische Landschaft. Schon ein Aufenthalt hier am Boden vermittelt dem Besucher das Gefühl von Urlaub. Der Platz ist bei Fliegern aus nah und fern beliebt und war oft und gerne Austragungsort von Segelflugmeisterschaften und Sternflügen im Motorflug. Zusammen mit dem 111-jährigen Bestehen unseres Vereins feiern wir auch 50 Jahre Flugplatz Schönstadt!

Aus betriebstechnischen Gründen ist regelmäßiger Modellflug neben den Flugbewegungen auf einem Flugplatz nicht möglich. So trafen sich die Modellflieger anfangs noch auf freiem Feld oder an verschiedenen Hängen, z.B. am Hasenkopf oder auf dem Goldberg bei Cölbe. Mitte der 60er Jahre wurde zwischen Niederweimar und Argenstein eine kleine Wiese gepachtet und zum Modellflugplatz umfunktioniert. Doch die Lage erwies sich bald als ungünstig, nämlich einer geplanten Hochspannungsleitung im Weg. Gesucht wurde eine langfristige Lösung, die 1974 in der Nähe von Schröck auch gefunden wurde und seitdem der zugelassene Modellflugplatz im KVfL und die Heimat unserer Modellflugsparte ist. Bei Veranstaltungen auf dem Flugplatz in Schönstadt sind die Modellflieger immer ein besonderer Publikumsmagnet und begeistern mit ihren spektakulären Flugdarbietungen. Besonders erwähnenswert sind die langjährigen Kontakte der Modellflieger zu anderen Vereinen in Europa, auch jenseits des "Eisernen Vorhangs". Die Verbindung mit Northampton, der Partnerstadt Marburgs, besteht bis heute.

Bisher war im Zusammenhang mit den flugsportlichen Aktivitäten des Vereins überwiegend die Rede von Segelflug, Modellflug und Motorflug. Dabei liegt der Ursprung des Vereins wie eingangs erwähnt in der Ballonfahrt. Bei Kriegsbeginn 1914 diente der Ballon „Marburg“ zunächst Artilleriebeobachtern als Fesselballon, später, als er nicht mehr fahrtüchtig war, der Flak-Artillerie als Zielscheibe. Der Plan einen neuen Freiballon zu beschaffen, ließ sich nach dem Krieg nicht realisieren. Damit war die Ballonfahrt im KVfL zunächst Geschichte und es dauerte Jahrzehnte bis zur Gründung einer neuen Ballonsparte im KVfL: Anlässlich des 70. Bestehens des Vereins waren zwei Heißluftballone zu Gast. Dies begeisterte die Mitglieder so sehr, dass es noch am Abend desselben Tages zu dem denkwürdigen Beschluß kam, die Ballonfahrt in Marburg wieder aufleben zu lassen.
Über viele Jahre hinweg wurde die Internationale Marburger Osterwettfahrt veranstaltet, ein Freundschafts-treffen für Ballonfahrer, bei dem Piloten aus Schweden, Polen, der CSSR (heute Tschechien) und Ungarn zu Gast waren. Im Gegenzug besuchten Ballonfahrer unseres Vereins ihre Freunde in Ungarn und Polen, was vor der Öffnung der Grenzen nach Osten eine Besonderheit war. Nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs" wurde 1990 ein großes Ballontreffen veranstaltet, bei dem erstmals auch Mannschaften aus Litauen dabei waren. Diese Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.

Anlässlich des 75. Bestehens des Vereins wurde ein Internationaler Großflugtag veranstaltet. Das gute Wetter und die angekündigten Attraktionen lockten überaus viele Zuschauer an. Dies war das einzige Ereignis dieser Art in der Vereinsgeschichte, da seit der Flugtag-Katastrophe von Ramstein 1988 von solchen Flugtagen Abstand genommen wird. Ein ähnlicher Publikumsmagnet war 1992 die Internationale Wettfahrt der Medienballone. Sängerin Nena schickte bei ihrem Auftritt zusätzlich ihre 99 Luftballons in den Himmel über den Flugplatz.

Mit sportlichen Meisterleistungen eines Vereinsmitglieds aus der Sparte Segelflug durfte sich der KVfL in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schmücken: Der erfolgreiche Wettbewerbsflieger und zweifache Weltmeister in der FAI Rennklasse, Werner Meuser, fand 1990 seine fliegerische Heimat im Kurhessischen Verein für Luftfahrt Marburg-Schönstadt. Zusammen mit Tobias Frommhold richtete er viele Jahre lang den Segelflugwettbewerb "Marburg Open" aus, eine Veranstaltung, die oft in Verbindung mit Meisterschaften stand, manchmal aber auch aus reiner Freude am Fliegen ausgerichtet wurde.

Siehe auch Geschichte des KVfL 1970 - 1999

1999 bis heute

Das Jubiläumsjahr 2009 begann mit einer Ausstellung zur Entwicklung der Luftfahrt im Rathaus der Stadt Marburg. Es folgten sportliche Veranstaltungen aller Sparten des Vereins und schließlich der Höhepunkt, das große Flugplatzfest auf EDFN.

Doch so erhebend die Erlebnisse und Gefühle bei der Ausübung des Luftsports sein mögen, so entsetzlich und traurig ist es, wenn ein Flugunfall geschieht. Auch unser Verein hat ein trauriges Kapitel in der Vereinsgeschichte zu verzeichnen. Im Februar des Jahres 2012 brachte ein stabiles Hochdruckgebiet über etliche Tage frostige Temperaturen verbunden mit strahlendem Sonnenschein. Für die Piloten des Vereins eine seltene und äußerst willkommene Wetterlage. Denn in der Regel ist unsere Landewiese von November bis April zu weich, um einen sicheren Flugbetrieb durchführen zu können. So trafen sich am 11. Februar etliche Piloten, um die außergewöhnliche Gelegenheit zu einem Flug im Winter wahrzunehmen. Am Nachmittag jedoch kam es zum Absturz des zweisitzigen Vereinsmotorflugzeugs vom Typ “Liberty”, bei dem beide Insassen tödlich verunglückten. Der Verein verlor mit Hans-Jörg Schwarz und Peter Hill auch zwei zentrale Personen der Vereinsführung, den 1. Vorsitzenden und den Leiter der Motorflugsparte. Es war ein traumatisches Ereignis für alle Mitglieder. Einige Mitglieder stellten ihre Leidenschaft zum Luftsport in Frage und hörten schließlich sogar mit dem Fliegen vollständig auf. Traurige Statistik: In seiner 112-jährigen Geschichte hat der Kurhessische Verein für Luftfahrt insgesamt 8 Flugunfallopfer zu beklagen.

Auch wenn das Vereinsleben nach dem Unglück zunächst in eine Schockstarre verfiel, musste das (Vereins-) leben dann auch weiter gehen: Am 30. März wurden in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung Martin Krebs zum 1. Vorsitzenden und Henning Wassermann zum Motorflugreferenten gewählt.

Inzwischen waren die Hallen in die Jahre gekommen. Markierungen auf dem Hallenboden mit “H20” gekennzeichnet sprachen für sich. Im Zuge des Beschlusses, die Hallendächer zu erneuern, wagte der Verein 2013 einen Sprung in die Zukunft und stattete weite Teile der Dachflächen zusätzlich mit Solarmodulen aus. Mit einer installierten Leistung von 61,5 KWp trägt unsere PV-Anlage zur Energiewende bei.

Parallel zur Weiterentwicklung der privaten Sportfliegerei hin zu „schneller, komfortabler und teurer“ verbunden mit einer immer umfangreicheren Reglementierung, gab es bereits in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Strömung deren Ziel es war, sich wieder auf die Anfänge zurückzubesinnen: das Fliegen mit einem einfachen, zweisitzigen Fluggerät. Anfangs wurden diese Akteure mit ihren abenteuerlichen Flugvehikeln nur milde belächelt. Inzwischen hat sich daraus ein Zweig des Luftsports entwickelt, der zu einer ernsthaften Alternative herangereift ist. Sie ermöglicht es dem “Luftsportgeräteführer” kostengünstig, benzinsparend und leise unterwegs zu sein. Es ist Reinhard Kämper zu verdanken, der als Ausbildungsleiter die Aufmerksamkeit auf das Fliegen mit Ultraleichtflugzeugen lenkte, was schließlich 2014 in der Gründung der UL-Sparte als fünfter Sparte im KVfL mündete.

Nach dem schweren Einschnitt durch den Flugunfall im Jahr 2012 wuchsen die Mitgliederzahlen langsam aber stetig wieder an. Sogar die Corona-Pandemie hatte keinen Einfluss auf diese erfreuliche Entwicklung. In den vergangenen Jahren wurde der Flugzeugpark modernisiert: Sparsamere Motoren und neues Flugzeugdesign bilden auch im KVfL den Trend zu umweltverträglicherem Fliegen ab. In 2022 ergänzt ein neues Ultraleichtflugzeug mit noch besseren Verbrauchswerten unsere Flotte.

Ein beständiger Teil des Vereinslebens bleibt der Tag der offenen Tür, bei dem der Verein einmal im Jahr seine Hallentore öffnet, um der Öffentlichkeit einen Einblick hinter die Kulissen des Flugplatzes zu geben.

Wir freuen uns auf das, was da noch kommt und ich wünsche unseren Piloten allzeit guten Flug und glückliche Landung.

Edith Mohr

Anmerkung: Der Text folgt in weiten Teilen den Darstellungen zur Geschichte des Vereins in: „100 Jahre Kurhessischer Verein für Luftfahrt von 1909 e.V. Marburg“

(1) Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Verkehrslandeplatz. Zuletzt abgerufen am 30.04.22.